YRRLANTH – Blatt 185 – Historischer Roman II – Leseprobe
Vielstimmiger Gesang in der hohen Halle der vielen Nischen.
Pippas Gefühle schwanken zwischen Todesangst und Seligkeit. Ist das jetzt hier in dieser Höhle das Ende meines Lebens? Hat mir die Alte in den Katakomben von Lutetia nur lauter Lügen eingeflüstert? Gleichzeitig versinken Pippas Blicke in denen von Julianus. Was hat dieser Blick zu bedeuten? Betrügt mich meine Todesangst nur, um mich in diesem letzten Augenblick stark zu machen? Auch Julianus ist völlig verwirrt. Denn hinter der großen Göttin in einer der vielen Nischen, die den kreisförmigen Raum begrenzen, erkennt er Diana, als wäre sie aus dem Tempel der Villa Marcellina hierher gekommen, um ihn zu trösten und aufzumuntern. Sumila seufzt im Schlaf vor ihm auf dem trockenen Stroh, das mit Moos gepolstert ist. Oder ist das alles jetzt nur ein Traum, der ihnen die Angst vor ihrem nahen Ende nehmen soll?
Das Flackern der Flammen in den Fackeln, die zwischen den Nischen aufgehängt sind, fluten den Moment zu einem Bad in milden Farben, die wie bunte Schlangenbänder an den Wänden auf und ab gleiten.
Jetzt beginnen die Frauen erneut ein vielstimmiges Summen. Mit geschlossenen Augen und erhobenen Armen schwanken sie genüsslich hin und her und verneigen sich lächelnd von den Götterbildnissen in den Nischen – dabei wandern sie sacht von einem Abbild zum nächsten, verneigen sich summend, jauchzen kurz und hell auf, um dann wieder weiter zu tanzen und zu summen. Völlig selbstvergessen. Die Fremden, die sie hierher geleitet hatten, haben sie längst sich selbst überlassen. Zu Füßen der großen Göttin entzünden nun zwei alte Priester kleines Geäst, das den Weihrauch in großen Schalen zum Schwitzen und Schmelzen bringt. Pippa und Julianus liegen dicht beieinander, jetzt umarmen sie sich, vereinen sich, bis die Erschöpfung nach solch einem langen Tag sie gnädig in tiefen Schlaf hinüber geleitet. Und in ihren Träumen wandeln sie noch einmal durch alte Bilder, in denen sie Somythall begegnen, die ihnen lachend entgegen winkt. Sol Invictus scheint mit Atawima in ein tiefes Gespräch vertieft – von Nische zu Nische – Juppiter Dolichenus philosophiert begeistert mit Mithras und Grannus macht überschwenglich Diana den Hof. Ein heimlicher Olymp unter der Erde. Die Götter und Göttinnen werfen dabei immer wieder wohlwollende Blicke auf das eng umschlungene junge Paar, das längst sich und alles um sie herum vergessen hat, so überschäumend haben Lust und Wonne sie verwöhnt und aufgehoben in eine Welt reinster Lebensfreude. Und erst Isis!