04 Nov

Autobiographische Blätter – AbB – Neue Versuche # 53 (Leseprobe)

Ein Lyrik-Verächter bittet um Vergebung.

Wo die Musik am ehesten zu ihrem Recht kommt in der Sprache, da lässt sich leise sprechen, wie im Gedicht.

Wie die Musik schrankenlos in unser Herz sich durch kämpft, so bietet sich auch das Gedicht als freudvoller Gesang von Fühlen und Denken an. Es klingt so wunderbar rätselhaft, so geduldig fragend statt schnelle Antwort anzubieten.

Darum weisen die meisten es weit von sich: Was soll das undeutliche Sprechen, was das unordentliche Tönen? Warum so unnatürliche Formen wählen, warum so rhythmisch schreiten, raunen? Warum sich fremd gebärden? Klingt es doch wie künstliches Anders Sein Wollen. Wozu denn das? Da verdreht jeder klar Denkende die Augen: Die Sprache mit ihren klaren Strukturen werde hier mutwillig verhöhnt, bewusst sollte der Grammatik, dem Satzbau nicht gehorcht werden, nur um so zu gefallen. Wie dumm aber auch!

Könnte es nicht sein, dass dieser harsche Ton nicht eher auf den zurückfällt, der so tönt?

„Aber gefragt ist

Als ich dachte – damals oh dieses langsame

Aufmerken in dem geschlossenen Kreis! –

das zweite Haus einer Reihe von vollkommen gleichen

sei schon nicht mehr dasselbe (und gleiche schon gar

nicht), was hätte ich da

sonst denken können? Ich komme nicht drauf.“ (Elke Erb)

22.12.91

Wie denn auch? Hat nicht schon Lukrez sehr anschaulich gedichtet, dass nur eine zufällige Berührung eines Atoms irgendwo in den Sphären dazu führen kann, dass weitere unvorhersehbare Bewegungen die Folge sein werden, die wiederum zu einmaligen neuen Konstellationen führen, in denen dann wieder Berührungen zu Veränderungen Anlass geben…?

Und ist dann nicht die Lyrik – Elke Erb als eine der jüngsten Schöpferinnen in diesem unübersichtlichen Feld – ein viel schöneres Gefäß, das wir mit unseren zahllosen Bildern füllen können, als die strenge Form der Prosa, die wir immer auftreten lassen, als bilde sie unbestechlich das ab, was in den Protagonisten vor sich geht.

Was hat Kleist gegen diese scheinbare Unbestechlichkeit der Sprache nicht für Sturmläufe angetreten, immer wieder, immer wieder?

Es hat ihn schier um den Verstand gebracht.

Natura artis magistra et hominum.

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