18 Apr

Historischer Roman II – Yrrlanth – Blatt 131 – Leseprobe

Somythall erinnert sich an Flavius Claudius Julianus.

„Woran denkst du denn gerade, Somythall?“

Rochwyn steht fragend neben ihr. Sie haben gerade Argentovaria wohlbehalten erreicht. Seine Leute haben ihm berichtet, es gäbe keine Hinweise für irgendwelche Hinterhalte oder üble Banden in der Gegend.

Gerade geht im Westen über dem Gebirgsrücken die Sonne unter. Im Osten, in der Ebene, ein letzter Glanz auf dem großen Rhenus.

Tagsüber ist es erfreulich warm gewesen. So war auch die Reise für Sumila und Somythall wenig beschwerlich. Sumila schläft in einem Korb neben ihrer Mutter. Wie schön sie ist, denkt sie gerade. Doch stattdessen gibt sie eine ganz andere Antwort:

„Als wir heute morgen an Argentorate vorbeikamen, musste ich an Flavius Claudius Julianus denken.“

Rochwyn staunt.

„Wie das? Woher weißt du von ihm?“

„In der Villa Marcellina hat mir Julian von ihm erzählt. Sein Lehrer, Philippus, ist ein großer Verehrer dieses römischen Kaisers.“

Rochwyn weiß nicht, ob er sich freuen soll, dass Somythall sich für diesen denkwürdigen Kaiser interessiert, oder ob er seinem Eifersuchtsgefühl nachgeben soll.

„Und warum gerade heute?“

„Mein lieber Duc Rochwyn, wird das eine Unterrichtsstunde? Soll das eine Prüfung werden?“

Rochwyn lacht erleichtert, sie hat wohl seinen plötzlichen Eifersuchtsanfall nicht bemerkt. Oder tut sie nur so?

„Aber Somythall, wo denkst du hin? Ich bin nur neugierig.“

Da muss auch sie lachen. Wohlgefällig betrachtet sie Sumila, schweift mit ihren Gedanken wieder zu Julianus, seufzt zufrieden:

„Flavius Claudius Julianus hat doch damals bei Argentorate die Alamannen vernichtend geschlagen, stimmt‘s?“

„Genau, so wie später Attila vernichtend geschlagen wurde.“

„Römische Tapferkeit galt eben fast bis in unsere Tage viel.“

Rochwyn fühlt sich fast gekränkt. Und seine Leute? Sind die etwa nicht tapfer, haben sie nicht schon ein paar Mal schlimmes Leid von ihr abgewendet? Er schweigt. Nickt. Die Stille wollen aber beide schnell beenden. So fallen sie sich gegenseitig ins Wort:

„Er war ein kluger Kaiser, oder?“

„Römer und Germanen waren Bündnispartner gegen Attila.“

Somythall möchte lieber ihr Lieblingsthema anschneiden:

„Er wollte die Christen zwingen, wieder alle Götter der Römer anzubeten. Dass sie nur einen Gott dulden wollten, missfiel ihm sehr. Es sei eine Anmaßung. Ihre Tempel wurden geschlossen, Opferaltäre wurden überall wieder benutzt, auch die Arianer sollten dort opfern. Er wollte unbedingt die Vielfalt der Götterwelt zurück.“

Rochwyn freut sich, dass Somythall so offen über diese Glaubensthemen sprechen kann. Schließlich kommen sie ja beide aus Yrrlanth, wo neben dem Christentum – so wie Abt Ambrosius und seine Mönche und Brüder es vertreten – auch noch der alte Glauben an die alten Götter sehr lebendig ist.

„Leider ist er viel zu jung gefallen.“

„Das stimmt. Stell dir vor, es wäre ihm damals gelungen, die alten Götter der Römer über den Gott der Christen siegen zu lassen, die Bischöfe…“

Rochwyn fährt begeistert dazwischen:

„…gäbe es heute wahrscheinlich gar nicht. Aber dann wären wir wahrscheinlich auch nicht in dieser Mission hier unterwegs.“

„Erinnerst du dich noch an den Zwischenfall in der Villa am Liger, als Ambrosius die Wulfila-Bibel verbrennen ließ?“

„Natürlich. Aber darüber möchte ich gar nicht mehr reden, sonst könnte es passieren, dass ich ihm unser Geleit aufkündige, diesem übereifrigen Prediger!“

Er erwischt sich gleichzeitig dabei, dass er insgeheim wünscht, die Mission möge schief gehen, Ambrosius möge…Da hört er aber die wohltuende Stimme von Somythall und lässt den missgünstigen Gedanken fallen.

„In meinen Träumen spricht oft die große Göttin zu mir, sie macht mir Hoffnung, dass wir nicht umsonst in dieser Welt sind.“

„Es ist gut, dass unsere Götter weiter mit uns reden. Wir brauchen sie, wir dürfen sie aber auch nicht erzürnen.“

Was meint er denn wohl damit? Somythall ist zu müde, der Frage nachzugehen. So schweigen sie gemeinsam eine ganze Weile. Zwischen ihnen schweben nur gute Gedanken hin und her, das spüren sie ganz deutlich.

„Werden wir morgen den Rhenus hinter uns lassen?“

„Wenn das Wetter weiter so bleibt, schaffen wir es mindestens bis zu seinen Ufern, bei Mogontiacum.“

„Was ist eigentlich aus dem Grenzwall zu den fremden Stämmen jenseits des Rhenus geworden? Stehen da noch immer Wachen?“

Da muss Rochwyn herzhaft lachen.

„Wachen? Was denn für Wachen? Die Stämme dort verwenden das Holz der Palisaden als Brennholz. Sie sind Fremden gegenüber sehr feindselig.“

Somythall denkt an Abt Ambrosius und an seine Vision dort zu missionieren. Wie wird es ihm und seinen Mitbrüdern ergehen? Ein ungutes Gefühl zieht in ihr auf. Lieber gar nicht erst ansprechen. Nicht herbei reden. Vielleicht kann sie Rochwyn ja überreden, den Abt am Rhein alleine weiter ziehen zu lassen. Sie könnten dann den lang ersehnten Rückweg antreten. Über Lutetia zurück Richtung Heimat. Yrrlanth. Allein der Gedanke daran weckt wohlige Gefühle in ihr. Yrrlanth!

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